Wahlprüfsteine: Mehrheit gegen Mietpreistreiber?

|UPDATE 8.9.2020| Die Antworten auf die „Wahlprüfsteine“ des MieterInnenvereins haben eine Zustimmung von Linken, Piraten, Grünen und SPD für einen regelmäßigen Mietspiegel und ein kommunales Vorgehen gegen Mietpreisüberhöhung ergeben. Auch die Verbesserung der kommunalen Wohnungsaufsicht und der Erlass einer Wohnraumzweckentfremdungssatzung könnten im neuen Rat von diesen Parteien unterstützt werden. Zu den anderen Punkten gibt es fast immer Zustimmung bei den Linken und – mit kleineren Abstrichen – bei den Piraten.  Die Grünen wollen sich nicht zu allem festlegen. Die SPD will etliche Forderungen lediglich „prüfen“. Die neue „basisdemokratische Liste“ und die kleine Liste „AUF“ stimmen fast allen unseren Forderungen pauschal zu. Das „Bürgerforum“ stimmt „vielen“ Positionen zu, wird aber nicht konkret.

Die folgende Tabelle versucht, die Antworten der Linken, der Piraten, der Grünen und der SPD zusammenzufassen.  Der Wortlaut aller Antworten, die uns erreicht haben, steht hier.

Antworten auf die kommunalpolitischen Wahlprüfsteine des Mieterinnenvereins Witten 2020
Forderung LINKE PIRATEN GRÜNE SPD
neues Wohnungs-
versorgungskonzept
JA JA je nach Ratsmehrheit Wenn attraktiv für Privatinvestoren
qualifizierter Mietspiegel JA JA JA JA
Verfolgung von

Mietüberhöhung

JA JA JA, sobald Personal vorhanden JA
Erhaltungssatzung gg.
Teuermodernisierung
JA JA nur im Konsens mit dem Stadtrat wir wollen das prüfen lassen
Leitlinien nachhaltige Wohnungsbewirtschaftung JA wollen wir mit MieterInnenverein diskutieren NEIN wollen wir mit MieterInnenverein diskutieren
Gemeinnützige Bindung und besondere Förderung  der Siedlungsgesellschaft JA JA grundsätzlich JA, je nach Ratsmehrheit Kooperations-vereinbarung mit Genossenschaften
Kriterien gemeinnützige Wohnungswirtschaft JA JA JA wollen wir genau prüfen
Wohnungsaufsicht
neu aufstellen
JA JA JA wollen wir prüfen
Satzung gegen Wohnungsleerstand JA JA JA, aber nicht 2021 wollen wir prüfen
mehr Mietwohnungen auf Wohnbauflächen prüfen JA JA JA schon alles vergeben
Kornmarkt: mehr städte-bauliche & ökologische Qualität, Sozialwohnungen Kein Wohnungsbau, aber „grüne Oase“ NEIN NEIN,
nicht mehr möglich
NEIN,
nicht mehr möglich
Wohnungsbau mindestens 50% sozial / gemeinnützig 100 % NEIN,

alle Eigentumsformen

grundsätzlich JA, wenn Investoren gefunden würden wir gerne, aber Investoren fehlen
Pilotprojekt kommunaler gemeinnütziger Mietwohnungsbau JA ? JA ?
Vergabe kommunaler Grundstücke nach soz. u. ökol. Kriterien in Erbpacht JA JA JA Erbpacht stärker nutzen
dezentrale Unterbringung   von Wohnungslosen und Geflüchteten ausbauen JA JA JA teilweise
Aufgaben des sozialen Wohnungswesens bündeln (z.B. Wohnungsamt) JA JA noch keine Position noch keine Position
Übernahme höherer Kosten der Unterkunft bei klimagerechten Wohnungen JA JA JA Anfrage an die Kreistagsfraktion
bei Sozialleistungen: Übernahme von Mitgliedsbeiträgen im MieterInnenverein JA JA JA,
bei konkretem Beratungsbedarf
Thematisierung über Kreistagsfraktion

Schauen wir uns zuerst die Fragen mit breitester Zustimmung an:

Alle Gruppen, die konkret geantwortet haben, unterstützen die Forderung nach einem dauerhaften qualifizierten Mietspiegel, der aus kommunalen Haushalsmitteln finanziert wird. Die Linke sieht darin ein Instrument, mit dem Mieten und Mieterhöhungen begrenzt werden können. Das stimmt leider nur sehr bedingt. Der Mietspiegel ist in erster Linie ein Instrument zur Begründung von Mieterhöhungen und er bildet diese Mieterhöhungen auch ab. Wenn es keinen qualifizierten Mietspiegel gibt, können die VermieterInnen aber auf andere Begründungsmittel zurückgreifen. Das wurde in der Vergangenheit von Wohnungskonzernen wie der LEG gezielt ausgenutzt, und es erhöhte die individuelle Rechtsunsicherheit für die MieterInnen. Ein qualifizierter Mietspiegel ist deshalb unverzichtbar, aber er ist für sich auf Dauer kein Mittel zu einer breiten Mietenbegrenzung.

Eine Rolle bei der Mietenbegrenzung könnte der Mietspiegel spielen, wenn er als Bezugsgröße für die gesetzliche Begrenzung der Mieten herangezogen würde. Dies ist in Städten der Fall, in denen die sogenannte Mietenbremse gilt, also nicht in Witten. Hier könnte allenfalls der Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetzbuch genutzt werden, nach dem bei geringem Wohnungsangebot Mieten verboten sind, die mehr als 20 % über der Mietspiegelmiete liegen. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist seit langem rechtlich umstritten, der Bund arbeitet an einer Verschärfung. Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass Linke, Piraten, SPD, Basisdemokraten, AUF und Grüne (letztere unter Vorbehalt, dass es dafür Personal gibt) versprechen, offensiv gegen Mietüberhöhungen vorzugehen. Betroffen davon in Witten wäre nicht zuletzt die Vonovia, die nach Modernisierungen und bei Wiedervermietung Mieten weit über dem Mietspiegelwert verlangt.

Piraten, Linke, Grüne und Basisdemokraten befürworten eindeutig, dass bei den die Regelsätzen für die Kosten der Unterkunft von Kreis ein „Klimabonus“ in Höhe von mindestens 0,50 €/m² eingeführt wird, wenn die Wohnung energetisch modernisiert ist. Die SPD will immerhin eine entsprechende „Anfrage“ an die Kreistagsfraktion weiterleiten.

Eine relativ breite Zustimmung gibt es auch für unsere Forderung nach einer Reorganisation und Neukonzipierung der kommunalen Wohnungsaufsicht. Bislang wurde diese kommunale Aufgabe, mit der dem Verfall von Wohnraum entgegenwirkt werden soll, in Witten sehr stiefmütterlich erfüllt, ja zum Teil sogar gegen die Mieter gewendet. Hier gibt es für eine neue Struktur ein deutliches und bewußtes „Ja“ bei den Piraten und den Linken. Ein klares „Ja“ auch bei den Grünen, AUF und den Basisdemokraten.  Die SPD will trotz der öffentlich gewordenen Skandale diesen Punkt immer noch nur „prüfen und gegebenenfalls in unsere Arbeit aufnehmen“.

Eine auf den ersten Blick einmütige Zustimmung gibt es schließlich für die Forderung nach dem Erlass einer Wohnungszweckentfremdungssatzung nach dem Vorbild der Stadt Dortmund. Eine solche Satzung würde das Leerstehenlassen von Wohnraum unter Genehmigungsvorbehalt stellen und wäre auch eine Grundlage für das Vorgehen der Stadt gegen den Verfall leeerstehender Gebäude. Die Grünen finden allerdings, dass der von uns auf Ende 2021 gesetzte Zeitrahmen zu kurz ist. (Warum, wenn doch in unserer Nachbarstadt längst ein Beispiel vorliegt?) Die SPD kommt nicht über die Aussage hinaus, diese „Idee“ „prüfen“ zu wollen. Aus Erfahrung lässt dies befürchten: Die bedeutet eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Das Muster „Zustimmungen bei Linken und Piraten, mit Vorbehalten bei den Grünen, nur eine Prüfung bei der SPD“ zeigt sich auch bei einer ganzen Reihe anderer Punkte.

So befürworten Linke, Piraten, Basisdemokraten, AUF und Grüne eine gemeinnützige Dauerbindung der kommunalen Siedlungsgesellschaft, die im Gegenzug mit Kapitalaufstockungen und kommunalen Grundstücken für mehr sozialen Wohnungsbau fit gemacht wird. Aber die Grünen machen das von „Ratsmehrheiten“ abhängig, wollen sich also vor der Wahl nicht festlegen, was sie mit einem möglichen Koalitionspartner realisieren.  Die SPD drückt sich um eine klare Aussage  zum Ausbau der städtischen Siedlungsgesellschaft herum und spricht stattdessen von den Genossenschaften, auf die die Kommune gar keinen direkten Einfluss hat.

Das gleiche Muster liegt bei den Antworten auf die wichtige Frage zum Erlass von sozialen Erhaltungssatzungen (Milieuschutz) vor. Damit könnten teure Modernisierungen unter kommunalen Genehmigunsgvorbehalt gestellt werden, was den Einfluss der Stadt erhöht. Es könnten auch kommunale Vorkuafsrechte  gesichert werden.  Linke, Piraten, AUF und Basisdemokraten bejahen.  Die SPD will weiter „prüfen“ (ein Prüfauftrag liegt der Stadt schon seit Jahren vor). Und die Grünen wollen ihr Ja in diesem Fall gar von einem „Konsens“ des (gesamten?) Rates abhängig machen.

Bei noch einer wichtigen Frage können wir uns auf Grüne und SPD nicht verlassen:  Linke, Piraten, AUF und Basisdemokraten unterstützen die Erarbeitung eines verbindlichen Konzepts zur sozialen Wohnungsversorgung, das der MieterInnenverein von dem (vorliegenden) Wohnungskonzept als Teil der Wirtschaftsförderung abgrenzt.  Die Grünen wollen sich dazu vor der Wahl nicht äußern. Die SPD drückt sich um eine klare Antwort herum, macht aber klar, dass sie aufgrund der Haushaltslage keine größere aktive Rolle der Kommune sieht und deshalb auch weiter „attraktive“ Bedingungen für Privatinvestoren anstrebt.

Deutliche Gegensätze, zumindest zwischen der Linken und der SPD, tendenziell aber auch zwischen Linken, Grünen und Piraten, zeigen sich bei allen Fragen, die die Eigentumsfrage und die Grundstücksnutzung betreffen.

Mit ihrer Forderung, alle neuen Wohnungsbaugrundstücke in den nächsten Jahren ausschließlich für Sozialwohnungen zur Verfügung zu stellen, geht die Linke über die Forderungen des MieterInnenvereins nach einer Sozialwohnungsquote noch hinaus. Sie ist die einzige Gruppe, die eine kommunale Bodenvorratspolitik im eigentlichen Sinne (mehr Grundstücke in städtischen Eigentum) anstrebt. SPD und Grüne hätten auch gerne eine Sozialwohnungsquote, befürchten aber keine Investoren dafür zu finden.  Die Piraten wollen nach ihrem Wahlprogramm alle Eigentumsformen gleichzeitig fördern, also niemandem wehtun.

Immerhin befürworten Piraten und Grüne neben der Linken eine Überprüfung der bestehenden Planungsflächen auf mehr Potenzial für den bezahlbaren Mietwohnungsbau, wenn auch teilweise erst „später“ als der MieterInneverein (Auftrag an die Verwaltung noch in diesem Jahr). Die SPD sieht hier alle Flächen schon vergeben.

Eine konsequente soziale Wohnungspolitik benötigt in der Stadtverwaltung eine andere Organisationsform. Piraten und Linke unterstützen die Forderung des MieterInnenvereins nach einer eigenständigen Verwaltungseinheit für das Wohnen, zum Beispiel in Form eines Wohnungsamtes. SPD und Grüne haben dazu keine festgelegten Positionen.

Zumindest zum Teil darf man wohl nicht unbedingt davon ausgehen, dass die Anworten auf unsere zum Teil komplexen Fragen auf einer intensiven Auseinandersetzung beruhen. Die Liste „AUF“, die allerdings erst verspätet über die Wahlprüfsteine informiert wurde, hat fast alles Frage pauschal bejaht. Die „basisdemokratische Liste“ hat fast alle Fragen mit dem gleichen Textbaustein positiv beantwortet.

„Fast“ bedeutet:  „AUF“ und „basisdemokratische Liste“ sind – wie die Linke – gegen die Bebauung am Kornmarkt. Wir dagegen könnten uns eine qualitätvolle Teilbebauung mit bezahlbaren Wohnungen vorstellen. Nicht zuetzt deshalb, weil jede Wohnung, die in der Stadt und nicht auf der „grünen Wiese“ gebaut wird, Verkehr und neue Bodenversiegelung vermeiden hilft. Da die Projektvergabe von der Stadt bereits entschieden wurde, sind soziale, ökologische und städtebauliche Nachbesserungen wohl das Maximum, was man bei diesem Projekt realistisch erwarten kann. Grüne und SPD  halten auch solche NAchbesserungen für nicht mehr möglich.

Bedeutender als die kleinen Linksgruppen könnte da wieder das „Bürgerforum“ werden. Es sich  – in diesem Fall trotz rechtzeitiger Information –  nicht imstande gesehen hat, unsere konkreten – aber, wenn man sie ernst nimmt, zum Teil „schwierigen“ – Fragen konkret zu beantworten. Immerhin gibt es pauschale Bekundungen einer Übereinstimmung mit den grundsätzlichen Zielen des MieterInnenvereins und Gesprächsangebote nach der Wahl.

Nicht einmal zu solchen Aussagen ist es bei CDU, FDP und WBG gekommen. Eine weitere  Kleingruppe (bei den Ratswahlen: Witten Direkt) haben wir nicht gefragt, da wir bei ihr in der letzten Wahlperiode keine wohnungspolitischen Äußerungen bemerkt haben.

Ganz bewusst haben wir den rechten Rand ausgeschlossen. Dazu zählen wir in Witten Michael Hasenkamps Liste „Stadtklima Witten“ und natürlich die AfD. Bezeichnenderweise hat die gar keine sozial- und wohnungspolitischen Forderungen.

Auch bei den anderen Abstimmungen am 13. September rufen wir dazu auf:

Keine Stimmen an die Rechten!

Keine Stimme an die Rassisten und Marktradikalen von der AfD!