Am 2. Juli 2018 hat der Wittener Stadtrat ein „Handlungskonzept Wohnen Witten 2030“ (Verwaltungsvorlage Nr. 0836/V 16) beschlossen. Der MieterInnenverein Witten kritisiert dieses Papier als unklar, unverbindlich und lückenhaft. Einer zentralen Aussage ist aber zuzustimmen: Es gibt einen hohen und wachsenden Bedarf nach guten und preisgünstigen Wohnungen.
Der MieterInnenverein Witten begrüßt, dass in dem „Handlungskonzept Wohnen Witten 2030“ Daten und Einschätzungen zur Wohnungsmarktentwicklung und eine Reihe von Ideen für die kommunale Wohnungspolitik zusammengestellt werden. Ein schlüssiges Handlungskonzept, das aufzeigt, mit welchen verbindlichen Schritten ein gutes und bezahlbares Wohnen für alle Menschen in Witten gesichert werden kann, ist das Papier aber noch nicht. Dazu sind die quantitativen Untersuchungen zu unvollständig und spekulativ. Dazu sind die sozialen Zielbestimmungen zu unpräzise. Und vor allem sind die Handlungsempfehlungen viel zu unverbindlich und lückenhaft.
Trotz der Kritik ist eine Kernaussage des Papiers zu unterstreichen: Es gibt in Witten einen hohen und wachsenden Bedarf nach guten und preisgünstigen Wohnungen, die auch für Menschen mit geringen Einkommen bezahlbar sind. Nach Angaben der Studie sind 13,5 Prozent der Wittener Haushalt auf gesetzliche Mindestsicherungen angewiesen (SGB II, SGB XII, Asylbewerber) und 24 Prozent der Haushalte in Witten nur über „Niedrigeinkommen“. Das sind über zwölftausend Haushalte. Es ist zu befürchten, dass der Anteil in Folge von Altersarmut noch zunimmt.
Radikales Missverhältnis zwischen preisgünstigen Angeboten und wachsendem Bedarf
Zugleich kommt es zu einem rapiden Verlust an öffentlich gebundenen und anderen preisgünstigen Wohnungen. In den elf Jahren ist die Zahl der preisgebundenen Sozialwohnungen in Witten von 4.273 auf 2.532 geschrumpft, wurden nur 373 neue Sozialwohnungen geschaffen. Bis 2030 werden weitere 1.623 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Kaum irgendwo in NRW ist diese Entwicklung so dramatisch wie in Witten. Weit über 12.000 Haushalten mit Einkommen nahe der Armutsrisikogrenze stehen perspektivisch nur gut 900 Sozialwohnungen gegenüber. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Mieten bei der kommunalen Siedlungsgesellschaft und bei einem erheblichen Teil der Wohnungen der Genossenschaften auf Dauer preisgünstig bleiben, ergibt sich hier ein radikales Missverhältnis zwischen preisgünstigen Angeboten und dem wachsenden Bedarf.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Zahl der grundsätzlich sozialwohnungsberechtigten Haushalte noch einmal weiter höhere ist als die der Niedrigverdiener. Dies ist einer der vielen Punkte, die das „Handlungskonzept“ nicht behandelt. Gehet man von den Zahlen anderer Städte aus, wird man diesen Anteil in Witten auf mindestens 40 Prozent schätzen müssen.
Dass „Handlungskonzept“ trotz dieser offensichtlichen Problemlage bis 2030 nur einen Bedarf von 585 neuen Sozialwohnungen sieht, während 870 Wohnungen als Eigentumsmaßnahmen errichtet werden sollen, ist nicht nachvollziehbar. Offenbar gehen die Autoren von der Annahme aus, die Mieten würden sich in Witten auch ohne soziale Bindungen weiterhin nur mäßig erhöhen. Angesichts des begrenzten Anteils der kommunalen und genossenschaftlichen Akteure, angesichts des hohen Renditedrucks der Vermietungskonzerne, angesichts starker Mieterhöhungspotentiale durch Modernisierungen und angesichts der zu erwartenden stark steigenden Nachfrage nach Wohnungen im preisgünstigen Segmenten, könnte sich diese Annahme schnell als frommer Wunsch herausstellen.
Der Anteil der preisgünstigen Wohnungen am erforderlichen Neubau muss deshalb deutlich erhöht werden. Vor allem aber muss alles unternommen werden, um bestehenden preisgünstigen Wohnraum zu erhalten und sozialverträglich zu erneuern. Wie dies geschehen kann, dazu enthält das „Handlungskonzept“ leider kaum mehr als Allgemeinplätze und Andeutungen.
Wer soll bezahlbare Wohnungen bauen und erhalten?
In dem „Konzept“ wird grundsätzlich versäumt, die Frage aufzuwerfen und zu beantworten, WER in Witten die erforderlichen bezahlbaren/sozialen Wohnungen bauen oder sichern soll, – oder wer oder was dieses Ziel gefährdet. Es findet sich keine diesbezügliche Bestandsaufnahme der Interessen der unterschiedlichen Wohnungsanbieter. Es wird nicht ermittelt, in welchem Umfang und aufgrund welcher Umstände es im preisgünstigen Wohnungsbestand zu sozial nicht verträglichen Mietpreissteigerungen kommt. Es wird nicht einmal die Frage aufgeworfen, wie die lokale gemeinnützig orientierte Wohnungswirtschaft, insbesondere das kommunale Wohnungsunternehmen SGW, dazu ertüchtigt werden kann, sich an dem erforderlichen sozialen Wohnungsneubau zu beteiligen.
Ebenso wird die Behandlung wesentlicher kommunaler Instrumente wie der kommunalen Wohnungsaufsicht oder das Vorgehen gegen Leerstand und Zweckentfremdung vermieden. Zu den Möglichkeiten kommunaler Satzungen finden sich nur unverbindliche Prüfhinweise.
Der MieterInnenverein stellt deshalb fest, dass seine langjährige Forderung nach Erarbeitung eines kommunalen Wohnraumversorgungskonzeptes mit dem Beschluss über dieses Papier nicht erfüllt wurde.
Für die noch erforderliche Erarbeitung eines tatsächlichen Handlungskonzepter sieht der MieterInnenverein die folgenden Schwerpunkte:
- ausreichend differenziertere Untersuchung der Wohnungsbedarfe, vor allem der Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen,
- Stärkung der kommunalen Siedlungsgesellschaft mit Eigenkapital und kommunalen Grundstücken für den Bau und den Aufkauf von Wohnungen für die dauerhafte gemeinnützige Bewirtschaftung,
- Unterstützung eines Netzwerkes gemeinnützig orientierter Wohnungsunternehmen, die bei der Grundstückvergabe begünstigt werden könnten,
- konsequente Anwendung des Wohnungsaufsichtsgesetzes, vor allem auch als präventives Instrument,Erlass von Milieuschutzsatzungen zur Verhinderung von Teuer-Modernisierungen und Sicherung kommunaler Vorkaufsrechte,
- Verbesserungen der Wohnungsnofallhilfe,
- gebündelte Zuständigkeit für die kommunale Wohnungspolitik.