Ampel-Sondierung: Mietenpolitischer Stillstand? Ist eine Gesichtswahrung für SPD und Grüne noch möglich?

|Update, 17.10.21| Das “Sondierungspapier” von SPD, Grünen und FDP für die Bildung einer neuen Bundesregierung weckt wenig Hoffnung, dass die „Ampel“ die sich zuspitzenden Wohnungsprobleme in den Griff bekommen will. Den Floskeln im Papier lässt sich nicht mehr entnehmen als ein „Weiter  so“, das mit ein paar neuen Wörtchen garniert wird. Die Wahlprogramme von Grünen und SPD lösen sich wohl grad in gelbem Rauch auf.

Besonders enttäuschend ist, dass für Mieterschutz und Mietenregulation keinerlei Projekte angekündigt werden.  Das von der SPD im Wahlkampf versprochene „Mietenmoratorium“ für besonders extreme Wohnungsnotgebiete (zu denen das Ruhrgebiet ohnehin nicht gehört hätte) findet sich ebenso wenig, wie die von den Grünen befürwortete „Öffnungsklausel“ für den Erlass von „Mietendeckeln“ durch die Bundesländer.  Es wird also wohl weiter ungedeckelt die Miete in nie gekannte Höhen getrieben.

Da ist es kaum ein Trost, dass die „Ampel“ überprüfen will, ob die schlecht funktionierende „Mietenbremse“ von willigen Bundesländern auch über 2025 hinaus fortgesetzt werden darf. Nicht einmal bei dieser Regelung reichte es zu einem klaren Bekenntnis!

Auch zu den nötigen Verbesserungen des Räumungs- und Mieterschutzes, zum Beispiel bei „Eigenbedarf“, ist nicht mal eine Andeutung zu lesen.

Die „energetische Sanierung“ im Wohnungsbestand will die Ampel „beschleunigen“, ohne auch nur ein Wort zu dem erforderlichen Schutz für die MieterInnen zu verlieren! „Beschleunigung“ bedeutet deshalb leider wohl: Noch mehr  Instandmodernisierungen auf Kosten der MieterInnen.  Wird es also – jetzt von SPD und Grünen gestützt – unter dem Vorwand des Klimaschutzes zu weiteren Verdrängungen und Verarmungen durch „Modernisierung“ kommen? Nur mit dem Unterschied, dass man die erhöhten Mieten in Zukunft von 12 Euro Mindestlohn und einem in „Bürgergeld“ umgetauften „Hartz IV“ bezahlen darf?

Bei der Modernisierungsmieterhöhung handelt es sich bekanntlich um die wichtigste Methode von Vonovia, LEG & Co., starke Einnahmesteigerungen im Wohnungsbestand durchzusetzen. Und erklärtermaßen wollen die Wohnungskonzerne ihre Methoden auch verstärkt im staatlich unterstützten Neubau einsetzen. Vor diesem Hintergrund würde es einem Wunder gleichen, wenn sich in diesem wirtschaftsliberalen Papier auch nur Andeutungen einer Absicht zur stärkerem Regulierung der renditeorientierten Wohnungswirtschaft finden würden.

Die im Sondierungspapier immerhin enthaltene Absichtserklärung, kriminelle Bargeldwäsche mittels Immobilienhandel zu verhindern, läuft an dem ganz legalen massenhaften Abschröpfen der Mietereinkommen durch die Wohnungskonzerne völlig vorbei. Und an der Nutzung von Steuerschlupflöchern durch die Finanzindustrie wird auch die x-te leere Absichtserklärung nichts ändern, die Umgehung der Grunderwerbssteuer bei Share-Deals unmöglich zu machen. Solange es Finanzkonzerne in der Wohnungswirtschaft gibt, werden sie immer wieder neue Möglichkeiten zur „Steueroptimierung“ finden.

Mit viel gutem Willen als einen Lichtblick ansehen kann man allenfalls die Aussage: „Mit einer neuen Wohngemeinnützigkeit bringen wir eine neue Dynamik in den Bau bezahlbaren Wohnraums.“ Betrachtet man den letzten Gesetzentwurf der Grünen als Blaupause, könnte dieser vage Satz bedeuten, dass die neue Bundesregierung den Neubau preisgünstiger Wohnungen in Gebieten mit besonders hohem Bedarf auch durch Steuerverzichte fördern will. Da dürfte auch ein Koalitionspartner Vonovia – pardon FDP – nichts dagegen haben. Warum sollte nicht auch dieser Konzern „gemeinnützige Wohungen“ bauen, wenn der Staat dafür viel zahlt und wenig verlangt?

Steuerverzichte für Wohnungsunternehmen passen ins Weltbild der FDP. Mit dem erklärten Verzicht auf jegliche Steuererhöhung und dem Festhalten an dem Verbot der zusätzlichen Kreditaufnahme für öffentlich Investitionen in die soziale Infrastruktur der Wohnraumversorgung haben sich die Wirtschaftsliberalen in diesem Sondierungspapier auf voller Linie durchgesetzt. Die Umverteilung von Arm nach Reich darf munter weiter gehen.

Dass geschieht auch dadurch, dass Bauen für diejenigen, die sich das leisten können, so sehr erleichtert werden soll, das Deutschland Jahr für Jahr mit 400.000 neuen Wohnungen zugepflastert wird, davon nur 100.000 „öffentlich gefördert“, also vorübergehend preisgedämpft. Liebe Grüne, wie verträgt sich das mit Klimaschutz?  Oder vertraut ihr darauf, dass das nur eine leere Floskel bleibt?

Das im Sondierungspapier angekündigte „Bündnis“ für den Wohnungsbau durften wir ja schon in der Groko bewundern. Dadurch, dass es jetzt den Zusatz „bezahlbar“ erhält, ändert sich an den Bedingungen nichts.  Mit welchem Geld will die auf Steuererhöhungen und investive Neuverschuldungen verzichtende neue Bundesregierung denn das erklärte Ziel, 100.000 öffentliche geförderte Wohnungen im Jahr bauen zu lassen, umsetzen?

Ist noch eine Gesichtswahrung für SPD und Grüne möglich?

Nun kann man in einer Ampel-Koalition nicht erwarten, dass die FDP ihrem neoliberalen Glauben und den Interessen ihrer Immobilienklientel abschwört. Kompromisse sind unvermeidbar. In diesem Sondierungspapier ist aber von dem von SPD und Grünen versprochenen sozial-ökologischen Aufbruch in der Wohnungspolitik so gut wie nichts zu spüren. Sollte dieser Eindruck täuschen, wären hier ein paar denkbare Ansatzpunkte für die gesichtswahrende Nutzung von Interpretationsspielräumen:

  1. Die in der Sondierung vereinbarte „Evaluation“ (Überprüfung)  der vorübergehenden mietrechtlichen Bestimmungen („Mietenbremse“) könnte zu einer Evaluation der Sozial- und Umweltverträglichkeit weiterer Teile des Mietrechts ausgebaut werden. Auf den Prüfstand gehören die sozialen, ökologischen und gemeinwirtschaftlichen Nachteile des marktorientierten Vergleichsmietensystems ebenso wie das zur Kundentäuschung einladende Nebenkostenrecht und die Löcher im Kündigungsschutz.
  2. Kann der Mietentreiberparagraf 559 BGB („Modernisierung“) mit der FDP nicht abgeschafft werden, so könnte er vielleicht doch so weiterentwickelt werden, dass bei energetischen Sanierungen wenigstens bestimmte Qualitätsmaßstäbe erfüllt werden müssen. Dazu gehören ökologische Anforderungen an Bauprodukte und Verfahren ebenso wie die Sicherung einer Mindest-Wirtschaftlichkeit für die MieterInnen. Das sollte angesichts steigender Energiepreise keine unüberwindbare Hürde sein. Es wäre auch durch und durch marktwirtschaftlich, wenn gesetzlich verankert würd, dass den MieterInnen bei der Information zur Planung, während der Durchführung der Baumaßnahmen und bei der Prüfung der Abrechnung der „Respekt“ entgegen gebracht wird, den man auch sonst in der Wirtschaft von Vertragspartnern erwartet. Und nicht zuletzt muss es klare Grenzen für maximale Einkommensbelastungen geben.
  3. Klimaneutralität im Wohnungsbestand und beim Neubau kann nicht allein durch bessere Dämmung und Heizung erreicht werden. Es müssen ganze Wohngebiete und Städte mit ihren Potenzialen zu Energieerzeugung und Energiespeicherung, zur Vermeidung von Mobilitätszwängen und der Ermöglichung klimaneutraler Mobilität, zur umweltfreundlichen Versorgung und Nutzung der Grünflächen in den klimaneutralen Umbau einbezogen werden. Dies darf aber keineswegs, wie sich teilweise abzeichnet, unter Kontrolle privater Konzerne und ihrer Datenabteilungen erfolgen. Es ist eine Aufgabe öffentlicher Planung und Infrastrukturversorgung, mit öffentlichen Mitteln und mit der dazu erforderlichen Mieter- und Bürgerbeteiligung.
  4. Die im Sondierungspapier erwähnte „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ muss als dauerhafte Sozial- und Umweltbindung der steuerbegünstigten Unternehmen und ihres gesamten Vermögens ausgestaltet werden. Dazu gehören vorbildliche Transparenz, Mietermitbestimmung und der Einsatz der erwirtschafteten Überschüsse für den sozial-ökologischen Um- und Neubau. Die „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ darf nicht zu einem weiteren Einfallstor steuerlicher Bevorteilung von großen Privatvermögen werden. Sie muss eine echte Alternative zur finanzialisierten Wohnungswirtschaft werden, die mit öffentlichen Mitteln und Grundstücken gezielt gefördert wird.  Dabei wird es unvermeidlich sein, neue kommunale und landeseigene Trägerstrukturen zu schaffen.
  5. Die „digitale Bürgerrechtspartei“ FDP  sollte sich nicht verweigern, neue Möglichkeiten zeitgemäßer Regulation und Kontrolle der Wohnungswirtschaft durch Kommune, Zivilgesellschaften und Mieterschaften zu erarbeiten und zu erproben. Die Verpflichtung der Wohnungswirtschaft auf überprüfbare Instandhaltungen und Rücklagenbildungen würde faire Wettbewerbsregeln schaffen und das Grundeigentum vor Missbrauch schützen, ohne die Nutzung der Immobilien als Finanzlagen auszuschließen. Die Digitalisierung sollte nicht dazu genutzt werden, den VermieterInnen „gläserne MieterInnen“ zu garantieren, sondern dazu, Kommunen und MieterInnen die notwendige Transparenz über die Verfügungsberechtigten zu verschaffen und alle EigentümerInnen – auch Fonds – auf gleiche Weise für die Folgeschäden windiger Geschäftsmodelle haftbar zu machen.
  6. Auch die Schaffung eines kollektiven Mietrechts, etwa durch ein Mieterschaftsverfassungsgesetz, würde die Marktwirtschaft nicht außer Kraft setzen, sondern lediglich den erforderlichen Respekt großer ImmobilieneigentümerInnen gegenüber ihren MieterInnen wieder herstellen.
  7. Zur Finanzierung investiver Maßnahmen in die dauerhaft öffentlich gebundene Infrastruktur des sozial-ökologischen Um- und Neubaus muss es auch aus liberaler Sicht möglich sein, öffentliche Kredite aufzunehmen oder Bürgschaften zu erteilen, ohne in Konflikt mit engen Verschuldungsbeschränkungen zu geraten. Ein anderer Weg der Finanzierung wäre die zweckbestimmte Besteuerung besonders hoher Vermietungsgewinne, die nur durch Ausnutzung von Mangel- und Monopolsituationen ermöglicht werden. Auch sollte man von der FDP erwarten dürfen, dass sie sich im Zweifel zwischen der Förderung des Mittelstandes und der Oligopole entscheidet.

Auch wenn man nicht erwartet, dass sich derartige Positionen in den Koalitiosverhandlungen durchsetzen, so deuten sie doch einige der möglichen Kampfelder an, die sich einer oppositionellen Mietenpolitik innerhalb und außerhalb der Parteien und Parlamente in den nächsten Jahren stellen werden.

Der Widerspruch der Ampel-Sondierung zu dem Mieterunmut, der sich beim Volksentscheid in Berlin in einer klaren Mehrheit für vergesellschaftende Enteignung des städtischen Großgrundbesitzes ausdrückte, könnte schärfer nicht sein. Der sich europaweit ausbreitende Mieterprotest wird die nächsten Jahre vielleicht mehr bestimmen als SPD und Grünen lieb ist.