|update| Wenn mit den Nebenkostenabrechnungen hohe Nachforderungen fällig werden und der Vermieter stark erhöhte Vorauszahlungen verlangt, stehen vielen MieterInnen Sozialleistungen zu, – eventuell auch nur für einen Monat. Dazu muss man in dem Monat der Fälligeit der Abrechnung einen Antrag beim Jobcenter oder beim Sozialamt stellen. Was aber muss man beachten, wenn man gleichzeitig die Richtigkeit der Abrechnung prüfen und die Nachforderungen so lange zurückbehalten will?
Übersteigt der sozialrechtliche Bedarf das aktuelle Einkommen, hat der Mieter Anspruch auf ergänzendes ALG II (im nächsten Jahr vielleicht „Bürgergeld“) oder auf Grundsicherung. Der Bedarf ergibt sich aus dem Regelsatz nach Personen + Bruttomiete + Nachforderung.
Ein Beispiel:
Eine Alleinstehende hat ein monatliches Nettoeinkommen von 1600 Euro. Ihre Bruttomiete (inkl. Heizkosten) betrug bislang 551 Euro. Der Regelsatz für eine Person beträgt zurzeit (November 2022) 449 Euro. Der sozialrechtliche Bedarf beträgt also 1000 Euro. Von einem Anspruch auf ergänzendes ALG II war die Person damit bislang weit entfernt. Aber im November 2022 hat der Vermieter 100 Euro mehr Vorauszahlungen und für den Dezmber 1200 Euro Nachforderungen verlangt. Der Bedarf für den Monat Dezember beträgt nun 449 Euro + 551 Euro + 100 Euro + 1200 Euro = 2300 Euro. Damit hat die Mieterin einen Anspruch auf ALG II. Bei der Berechnung des Anspruchs muss dann außerdem noch der Freibetrag für das anzurechnende Erwerbsseinkommen von 300 Euro berücksichtigt werden. Die Mieterin hat einen Anspruch auf einmalige Leistungen in Höhe von 2300 Euro – 1600 Euro + 300 Euro = 1.000 Euro.
Achtung! Ab 1.1.2023 heißt das ALG II „Bürgergeld“ und die Regelsätze erhöhen sich. Bei einer Person auf 552 Euro.
Nach einer Entscheidung des Bundesozialgerichtes muss der Antrag auf diese Leistung in dem Monat gestellt werden, in dem die Forderung fällig wird. Hier kommt es nun in der Praxis zu möglichen Konflikten mit dem Zurückbehaltungsrecht der Mieterin, die die Abrechnung erst prüfen will, bevor sie zahlt.
Beantragen und prüfen!
Hält die Mieterin die Nachforderung und Erhöhung berechtigter Weise zurück, muss dann aber nach Vorlage der vollständige Belege ein Betrag von – sagen wir – 900 Euro nachzahlen, hat sie rechnerisch einen Anspruch auf Übernahme von 400 Euro durch das Job Center. Es ist nun aber leider zu befürchten, dass das Job Center in verengter dogmatischer Auslegung des Begriffs „Fälligkeit“ die Bewilligung des Anspruchs verweigert. Es kann zu der absurden Situation kommen, dass die Mieterin dafür bestraft wird, dass sie sich zum Wohle „des Steuerzahlers“ erfolgreich um eine Senkung der Kosten bemüht hat.
Um derartige Situationen zu vermeiden, sollten alle, für die das in Frage kommt, bereits in dem Monat, in dem die Abrechnung erfolgt, einen formlosen Antrag auf ergänzende Leistungen beim Job Center oder dem Sozialamt stellen, dies aber gleichzeitig mit der Bitte verbinden, diese Leistungen bis zum Abschluss der Prüfungen noch nicht auszuzahlen. Das Amt kann dann je nach Situation einen vorläufigen Bewilligungsbescheid erlassen, in dem der Anspruch dem Grunde nach anerkannt wird und nur die Höhe noch offenbleibt. Oder es kann mit der Mieterin vereinbaren, dass der Betrag aus dem rechtzeitig eingereichtem Antrag bis zur Mitteilung des Prüfergebnisses nicht ausgezahlt wird. Hierüber sollte die Mieterin ein schriftliches Protokoll erhalten.
Wenn das alles zu kompliziert wird und das Amt nicht mitspielt, sollte die Mieterin gegenüber dem Veremieter erklären, dass die Zahlungen unter dem Vorbehalt einer rechtlichen Prüfung erfolgen. Sie kann dann weiter ihre Prüfrechte geltend machen und ggf. später Rückforderungen stellen. Erhält sie dann von Vermieter Geld zurück, muss sie es allerdings auch an das Amt zurückzahlen.
Kostensenkende Prüfungen werden vom Sozialrecht nicht belohnt
Insgesamt bietet das Sozialrecht bislang leider keine Anreize, die Nebenkostenabrechnungen des Vermieters zu überprüfen. Nur MieterInnen mit einem besonders hohen Gerechtigkeitssinn werden die zusätzlichen Mühen und Risiken einer Zurückbehaltung der Forderungen bis zur abschließenden Prüfung auf sich nehmen. Politische Alternativen zu dieser Situation wären die behördliche Prüfung von Nebenkostenabrechnungen, eine sozialrechtliche „Erfolgsbeteiligung“ für LeistungsbezieherInnen, die Ihre Kosten senken oder ein ausreichend hohes pauschales Grundeinkommen, in dem übliche Wohnkosten enthalten sind.
Übrigens sollte man auch dann, wenn man die Stellung des Antrags zum (angeblichen) Fälligkeitstermin verpasst hat, vom Vermieter die Einsichtnahme verlangen, die Forderung mit dieser Begründung zurückbehalten und einen Antrag auf Sozialleistungen stellen. Denn ohne Prüfung können weder die Mieterinnen noch das Amt wissen, ob die Abrechnung richtig und die Forderung des Vermieters berechtigt ist. In diesem Sinne ist die Höhe der Forderung noch nicht bekannt, und damit steht auch die Zahlung noch nicht an.
Allerdings muss bei diesem Vorgehen mit Problemen bei den Ämtern gerechnet werden. Werden Anträge auf Sozialleistungen nach erfolgten Kostensenkungsbemühungen nicht bewilligt, sollte man Widerspruch einlegen und auch den Gang vor die Sozialgerichte nicht scheuen. Früher oder später muss das Sozialrecht die mietrechtlichen Gegebenheiten akzeptieren.