MieterInnenverein Witten wirft Konzern vor, ordnungswidrig überhöhte Mieten zu verlangen
Der MieterInnenverein Witten wirft dem größten deutschen Wohnungsunternehmen, der Vonovia SE, vor, in der Ruhrstadt Mieten zu verlangen, die oft mehr als ein Drittel über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Der Konzern nutze Wohnungssanierungen und den hohen Bedarf an familiengerechten Wohnungen, um die örtlichen Mieten insgesamt anzutreiben. Der MieterInnenverein hat die Stadt Witten bereits mehrfach aufgefordert, konsequent gegen diese systematische Mietpreistreiberei vorzugehen. Die Stadt Witten gehört nicht zu den Gebieten, in denen die „Mietpreisbremse“ gilt. Trotzdem könnte die Stadt gegen besonders hohe Miete vorgehen, indem sie das Wirtschaftsstrafgesetz anwendet.
„Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig für die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen unangemessen hohe Entgelte fordert, sich versprechen lässt oder annimmt“, heißt es in Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz. „Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte um mehr als 20 vom Hundert übersteigen, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen der Betriebskosten abgesehen, geändert worden sind.“ Der MieterInnenverein Witten ist der Ansicht, dass die Vonovia in Witten gegen diese Bestimmung verstößt.
AKTUELLE MIETERHÖHUNGEN UND ANGEBOTE
Die „üblichen Entgelte“ des Wirtschaftsstrafgesetzes entsprechen weitgehend der „ortsüblichen Vergleichsmiete“, wie sie in Witten mit dem qualifizierten Mietspiegel festgestellt wird, in der Regel dem Mittelwert. Der MieterInnenverein Witten hat aktuelle Mieterhöhungen und Mietangebote der Vonovia darauf geprüft, ob und inwieweit sie um mehr als 20 Prozent über diesem Wert liegen.
Anpassungen an die ortsübliche Vergleichsmiete
Im bestehenden Mietverhältnis kann die Miete alle 15 Monate bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöht werden. Nach Beobachtungen des MieterInnenvereins nutzt die Vonovia die Spielräume, die sich aufgrund dieser Bestimmung ergeben, maximal aus. Zumindest in Einzelfällen versucht sie auch darüber hinaus zu gehen. Damit treibt sie das Mietenniveau in Witten an, gelangt aber nicht in den Bereich der Ordnungswidrigkeit.
Es kam in den letzten Jahren immer wieder vor, dass sie Vonovia Zustimmungen zu Mieterhöhungen verlangte, die über dem Mittelwert des Mietspiegels lagen. Nach schriftlichen Hinweisen des MieterInnenvereins hat sie diese Mieterhöhungen zurückgezogen. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass ein Teil der MieterInnen diesen überzogenen Erhöhungen aus Angst oder Bequemlichkeit zugestimmt hat.
In Einzelfällen wiederholt die Vonovia auch bereits gescheiterte Mieterhöhungsversuche immer wieder. So aktuell gegenüber einem Ehepaar aus dem Haus am Wannen 117. Zuletzt behauptete die Vonovia, das Gebäude sei 1982 so umfassend saniert worden, dass dies einem Neubau gleichgekommen sei. Zwar fanden in der Vergangenheit Zusammenlegungen von Wohnungen und Standardsanierungen satt. Ein oberflächlicher Blick auf die in der Nachkriegszeit wiederaufgebauten Gebäude zeigt aber, dass damit keineswegs der Standard von 1982 erreicht wurde.
Mieterhöhungen nach Modernisierungen bei bestehenden Mietverträgen
Seit dem 1. Januar 2019 dürfen bei einer Modernisierung 8 Prozent der aufwendete Kosten pro Jahr auf die Mieter abgewälzt werden (vorher waren es 11 Prozent). Nach der Neuregelung dürfen Ausgangsmieten von weniger als 7 Euro/Quadratmeter innerhalb von 6 Jahren außerdem nur um maximal 2 Euro pro Quadratmeter wegen einer Modernisierung erhöht werden. In den uns bekannten aktuellen Modernisierungsfällen in Witten-Heven hält die Vonovia diese Grenzen ein. Es kommt dennoch zu Mieterhöhungen von bis zu 40 Prozent (nämlich dann, wenn die Ausgangsmiete nahe 5 €/qm lag).
Aufgrund vieler Proteste und Verhandlungsrunden konnte in Heven erreicht werden, dass die Vonovia bei Menschen mit geringen Einkommen aus Härtegründen auf die vollständige Mieterhöhung verzichtete. Die ist gesetzlich vorgesehen und stellt kein besonderes Zugeständnis der Vonovia dar. Es erübrigt sich in diesen Fällen wahrscheinlich eine gerichtliche Klärung. Obwohl es zwischendurch immer wieder Versuche der Vonovia gab, hinter die einmal gegebenen schriftlichen Härteregelungs-Zusagen zurückzufallen, konnte in fast allen Fällen die zugesagte Begrenzung der Mieterhöhung gesichert werden. Zumindest in einem Fall hat die Vonovia frühere Härtezusagen aber immer noch nicht eingehalten.
In den Fällen, in denen sich die betroffenen Mieter nicht auf ein niedriges Einkommen berufen konnten (d.h. auf eine Belastung des Nettoeinkommens durch die Wohnkosten von mehr als 30 %). liegen die nach der Erhöhung verlangten Mieten zwischen 24 % und 31 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Es besteht in diesen Fällen der Verdacht, dass gegen § 5 Wirtschaftsstrafgesetz verstoßen wird. Etwa 10 der betroffenen Mietparteien sind Mitglied im MieterInnenverein Witten.
Für viele Haushalte oberhalb der Härtefallgrenze stellen Mieterhöhungen um bis zu 130 Euro Belastungen dar, die persönliche Einschränkungen erforderlich machen. Dramatischer können die Folgen sein, wenn diese Haushalte später arbeitslos oder krank werden und auf Sozialleistungen angewiesen sein sollten. Es steht zu befürchten, dass die erhöhten Wohnkosten dann nicht von den Behörden übernommen werden.
Bislang lagen die hier maßgeblichen Bruttokaltmieten der 66 bis 70 Quadratmeter großen Wohnungen für Haushalte von 2 oder 3 Personen im Rahmen der sozialrechtlichen Kosten der Unterkunft. Nach den Mieterhöhungen müssten die Wohnungen von mindestens 4 Personen bewohnt werden, damit das Job Center oder das Grundsicherungsamt die Mieten voll übernimmt.
Wiedervermietungen
Nach einer Auswertung der aktuellen Wittener Angebote der Vonovia im Internet liegen die geforderten Mieten für die angebotenen Wohnungen in 11 der erfassten 12 Fälle um deutlich mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete.
In den 2017 modernisierten Gebäuden an der Schulze-Delitzsch-Sr. 17-19 (Fassade und Bäder) werden drei Wohnungen zu Grundmieten angeboten, die zwischen 29 und 38 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.
In 8 weiteren Fällen in Heven und Annen liegen die verlangten Mieten um mindestens 30 bis zu 40 Prozent über dem Mittelwert des Mietspiegels. Es handelt sich meist um Wohnungen, in denen die Bäder modernisiert wurden, bei denen aber keine neue Wärmedämmung vorliegt. Bei einem Teil der Wohnungen verweist die Vonovia auf barriefreie Details in der Ausstattung. Bei Wohnungen im Dachgeschoß ohne Fahrstuhl kann aber nicht von Barrierefreiheit ausgegangen werden.
Mit Ausnahme einer Wohnung in Heven, die von der Vonovia ausdrücklich als für Job-Center geeignet angepriesen wird, sind die Wohnungen für Haushalte üblicher Größen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, nicht erschwinglich. 70 qm große Wohnungen, die vorher auf jeden Fall für 3 Personen sozialrechtlich angemessen gewesen wären, müssten jetzt von 5 Personen bewohnt werden, damit das Amt die volle Miete übernimmt. 45 Quadratmeter große Wohnungen, die von der Größe her eigentlich für eine Person mit Grundsicherung angemessen wären, müssten nun von 3 Personen bewohnt werden.
GERINGE ANGEBOTE
Laut Wirtschaftsstrafgesetz liegt eine Ordnungswidrigkeit nur vor, wenn die überhöhte Miete „infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen“ verlangt wird. Da Witten offiziell nicht als Gebiet mit gefährdeter Wohnungsversorgung gilt, reicht es nicht aus, auf eine allgemein bekannte Mangellage zu verweisen. Allerdings kommt es bei dem „geringen Angebot“ darauf auch nicht in jedem Fall an. Maßgeblich ist, ob in dem spezifischen Marktsegment eine Mangelalge vorliegt.
Dies ist auf jeden Fall für Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment zu bejahen, insbesondere wenn sie von Unternehmen angeboten werden und/oder aufgrund ihrer Größe für Familien mit Kindern geeignet sind.
Wie Erfahrungen zeigen, werden zum Beispiel Wohnungssuchende mit Migrationshintergrund und /oder mehreren Kindern auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert. Viele private Vermieter vermeiden eine Vermietung an diesen Personenkreis. Deshalb konzentriert sich die Nachfrage auf die Unternehmen. Davon profitiert die Vonovia.
LAUFENDE AUFWENDUNGEN
Nach Wirtschaftsstrafgesetz ist eine hohe Miete dann nicht überhöht, wenn sie für die Deckung der laufenden Aufwendungen erforderlich ist. Der MieterInnenverein hat auch diesen Aspekt soweit wie möglich überprüft. Die Höhe der Mieten ist auch nach Modernisierungen nicht erforderlich, um die laufenden Aufwendungen zu decken.
Maßgeblich für die Ermittlung der laufenden Aufwendungen ist nach der einschlägigen Rechtsliteratur die Kostenmiete, die gemäß der II. Berechnungsverordnung ermittelt wird. Berechnet man diese Kostenmiete auf Grundlage der von Vonovia angegeben Baukosten, so ergeben sich nach einer Fassaden- und Heizungsmodernisierung in der Raiffeisenstraße 1-3 kostendeckende Mieterhöhungen von 0,45 € bis 0,50 € pro Quadratmeter und Monat. Dabei werden die günstigen Zinsen und Tilgungszuschüsse der KfW ebenso berücksichtigt wie die Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals von 4 Prozent.Wen die realen Mieterhöhungen bei bestehendem Mietvertrag 2 €/m² betragen, nimmt sie Vonovia also das Vierfache der laufenden Aufwendungen für die Modernisierung ein.
Auch die Ermittlung der Gesamtaufwendungen für die Wohnungen im Sinne der II. Berechnungsverordnung, also der hypothetischen Kostenmiete, führt zu einer erstaunlichen Diskrepanz zwischen Kosten und Mieten. Gehen wir von den fortgeschriebenen Anschaffungswerten der Immobilien aus, die in dem HGB-Einzelabschluss der bestandhaltenden Objektgesellschaft MIRA für das Geschäftsjahr 2017 ausgewiesen wurden und verteilen diese auf die Immobilien der Gesellschaft, so ergeben sich vor Modernisierung Kostenmieten von unter 4 €/m²/Monat, nach Modernisierung von ca. 4,50 €/m²/Monat.
Nun hatte die Vorgängergesellschaft der Vonovia, die Deutsche Annington, die Viterra (zu der auch die MIRA gehörte) im Jahr 2005 zu weit höheren Kosten gekauft als den fortgeschriebenen Anschaffungswerten entsprach. Um zu ermitteln, wie hoch die „Kostenmiete“ bei Berücksichtigung dieses Kaufpreise war, haben wir den durchschnittlichen Wert der Immobilien im Geschäftsbericht Deutschen Annington Ende 2005 zu Grund gelegt und mit 2 % jährlich abgeschrieben. Wir sind auch von der damaligen sehr niedrigen Eigenkapitalquote von unter 6 % ausgegangen. Bei der Berechnung ergeben sich dann „Kosten“mieten von etwa 5,10 €/m²/Mon. vor und 5,60 €/m² nach Modernisierung. Es handelt sich hier aber wohlgemerkt nicht mehr um reine Baukosten, sondern um Mietzahlungen für die spekulativen Preise, die die Deutsche Annington schon vor über zehn Jahren bei ihren Aufkäufen zahlte. Davon wurde nicht eine Wohnung saniert oder gebaut.
Seit 2005 ist der durchschnittliche bilanzielle Verkehrswert der Vonovia-Wohnungen durch die jährliche Aufwertung und Portfolio-Veränderungen stark gestiegen. Er betrug im Jahr 2018 mehr als das Doppelte des Wertes von 2005. Erst wenn wir bei der Berechnung der Kapitalkosten von diesen aktuellen Verkehrswerten der Immobilien ausgehen, kommen wir auf Ergebnisse, die den geforderten Mieten entsprechen oder – je nach angenommenem Eigenkapital –, sogar noch darüber liegen. Dies gilt auch bei Beschränkung auf den Wohnungsbestand in der Region südliches Ruhrgebiet.
Würde es um die Deckung der Baukosten inklusive von deren Finanzierungskosten gehen, könnten die Mieten der Vonovia im Ruhrgebiet auch nach Modernisierungen bei etwa 4,50 €/m² liegen, bei 5 €/m² würde sie schon starke Renditen erwirtschaften. Bei Mieten von gut 5,60 €/m², – diese Höhe würde in etwa dem örtlichen Mietspiegel entsprechen – würden neben den Erstellungskosten die überzogenen Kaufpreise der Wohnungen im Jahr 2005 von den Mietern abgezahlt. Alles was darüber hinausgeht, deckt nicht Kosten, sondern dient ausschließlich der Renditesteigerung. Diese wurde in den hohen bilanziellen Verkehrswerten bereits vorweggenommen. Die Mieterhöhungen dienen nicht zuletzt dazu, diese fiktionale Wertsteigerung aufzuholen.