„Energiesprong“ bei Vonovia: Einhausung einer maroden Substanz?

An der Schulze-Delitzsch-Straße in Witten-Heven verändern einige Häuser ihr Gesicht. Wo vor kurzem noch angegraute Betonfassaden grüßten, spiegelt sich das Umfeld jetzt in schicken Glasfassaden. Auch die früheren Balkone sind dahinter verschwunden. Bei den Baumaßnahmen handelt es sich um eine der ehrgeizigsten energetischen Modernsierungen, die in Witten je angegangen wurde. Ausgerechnet in diesem vernachlässigten Wohnquartier mit ehemaligen sozialen Werkwohnungen aus den 70er Jahren  will die Vonovia beweisen, dass sie Klimaschutz ernst nimmt. „Energiesprong“ heißt das ursprünglich aus den Niederlanden stammende Konzept, dass der Konzern hier erprobt.

Die Grundidee von „Energiesprong!“: Durch die Kombination von Dammmaßnahmen, neuer Wärmeversorgung und Erzeugung von Strom mittels Photovoltaik sollen die Häuser im Jahresschnitt möglichst nicht mehr Energie verbrauchen als sie erzeugen. Damit es schnell geht, wird im großen Stil mit vorgefertigten Bauteilen gearbeitet, die mehrere Funktionen integrieren und auf der Baustelle nur noch an die Häuser montiert werden müssen. Entsteht hier eine technische Lösung für die sozialverträgliche Klima-Sanierung der vielen ehemaligen Sozialwohnungen aus den 60er und 70er Jahren?

Noch ist Vieles an dem Energiesprong-Ansatz im Experimentierstadium, vor allem bei der Sanierung von mehrgeschossigen Objekten. Pannen sind bei der Umsetzung unvermeidbar. Aus Fehlern kann man lernen. Allerdings sollte man, wenn Menschen betroffen sind, alles tun, um absehbare Probleme zu vermeiden. Dazu gehört, dass der Bauherr die Ausgangssituation genau untersuchen lässt. In Witten, so scheint es, wurde da einiges versäumt.

Ein Kombi-Paket

In Witten werden die ehemaligen Werkswohnungen vollständig mit auf Maß vorgefertigten Bauteilen „eingehaust“. Die kompletten Gebäude samt Balkonen erhalten dicke, aus Holz und Zellulose bestehende, außen schick verglaste Dämmhüllen. Sie enthalten Waben, die die darunter liegenden Wände im Sommer beschatten sollen. Im Winter dagegen soll die Sonnenwärme an die Wände weitergegeben werden.  Die neuen Fenster sind in diese Bauelemente bereits eingebaut. Sie weisen elektrisch betriebene Lüftungen mit Wärmerückgewinnung auf. Die Mieter sollen später die Fenster bei niedrigen Temperaturen nicht mehr öffnen. Die alten Fenster werden nach Anbau der Dämmpaneele von innen demontiert. Das und die neue Innenverkleidung soll, so die Ankündigung der Vonovia, nur einen Tag oder wenig mehr dauern.

Die Erzeugung von Wärme wird von Ölheizungen auf Luft-Wärmepumpen umgestellt. Außerdem werden auf den Dächern und an den Balkonbrüstungen Photovoltaik-Paneele eingebaut. Den dort vor allem im Sommer erzeugten Solarstrom nutzt die Vonovia aber nicht für die Beheizung, sie soll verkauft werden. Es handelt sich mietrechtlich nicht um einen Teil der Modernisierungsmaßnahme und darf damit auch nicht mieterhöhungswirksam werden.

Fertigbauteile auf Mass?

Die vorgefertigten Bauteile stammen von einer professionellen österreichischen Firma. Man glaubt gerne, dass sich deren Ingenieure viele Gedanken bei der Entwicklung der innovativen  Produkte gemacht haben.

Vor der Montage wurde ein digitales 3-D-Bild der Gebäudehülle aufgenommen. Die anzubringenden Bauteile werden auf Maß gefertigt. Trotzdem kam im ersten Bauabschnitt auf einer ganzen Etage zu einer bemerkenswerten Panne: Die eingebauten Fenster waren für die alten Fensternischen zu groß. Dass bemerkte die Bauleitung aber erst, als sie schon montiert waren. Die Fenster mussten nachträglich ausgetauscht werden, was für die Mieter zu unangenehmen Verzögerungen führte.

Auch das Versprechen, der Austausch der Fenster und Fensterbänke werde nur wenige Tage dauern, erwies sich als nicht haltbar. Die Vonovia hatte nicht bedacht, dass die vorhandenen Fensternischen Eisenarmierungen enthielten.  Die erforderlichen Arbeiten ruhten für viele Wochen. Manche ruhen auch immer noch. Die sehr tiefen Fensterbänke werden „Treppenstufen“ aufweisen.

Durch die „Einhausung“ verwandeln sich die bisherigen Balkone in Wintergärten.  Einige Mieter müssen lange darauf warten, bis sie diese Räume nutzen können. Mal regnete es herein. Dann waren immer neue Nachbesserungen an den Installationen erforderlich.  Monatelang hieß es „Betreten verboten“. Denn die Verkleidung wies für Kinder gefährliche Aussparungen auf.  Ein Mieter, der zum Rauchen den Wintergarten benutzte, erhielt die Abmahnung. Die Nerven liegen  auf mehreren Seiten blank.

Instandhaltung lange vernachlässigt

Offensichtlich war zwar das digitale Aufmaß der Außenwände im Planungsauftrag enthalten. Aber hat die Vonovia überhaupt den Aufbau der vorhandenen Wände untersucht? Kaum. Seit Jahren kam es zu zahlreichen Mietermeldungen über Feuchtigkeit und Schimmelschäden an den Außenwänden. Die Vonovia überstrich diese Schäden, beseitigte aber nicht die Ursachen. Manche Mieter befürchten nun, dass nach der Montage der verglaste Außenbauteile nun zu Folgeproblemen kommen kann.

Überhaupt scheint sich die Vonovia nicht sehr für die Instandsetzung der eigentlichen Gebäudesubstanz zu interessieren. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Wasserohrbrüchen, deren Behebung sich sehr lange hinzog. In einigen Wohnungen funktionieren die Stromleitungen nicht richtig. Aber all diese Reparaturen würden weder aufsehenerregend noch förderfähig sein und auch keine Punkte im Nachhaltigkeits-Rating bringen.

Durch den „Energiesprong“ auf Vonovia-Art verwandelt sich der automatisierte Finanzinvestor eben nicht in einen sorgfältigen Bauherrn. Handelt es sich lediglich um die teure Ummantelung einer maroden Substanz?

Wer wird das bezahlen?

Experimente, Entwicklungsprojekte haben gerade auch bei sorgfältigerer Vorbereitung ihren Preis. Wer wird ihn bezahlen?

Die Vonovia behauptet: Würden die Kosten auf die Mieter umgelegt, müssten die Mieten um mehr als 7 Euro pro Quadratmeter erhöht werden. Tatsächlich will sie aber nur 2 Euro mehr verlangen. Die Vonovia verspricht, dass es außerdem geringere Heizkosten geben wird, so dass die Bruttomieten nur mäßig steigen werden. Allerdings geht sie bei dieser Berechnung von hohen Ölpreisen aus, von Kosten, die die Leute bislang kaum hatten.

Die Deckelung der Mieterhöhung ist keine Wohltat des Vermietungskonzerns. Der Gesetzgeber lässt schlicht mehr nicht zu. Die Mieterhöhung nach Modernisierung ist auf 2 Euro pro Quadratmeter gedeckelt, wenn die Ausgangsmiete bei unter 7 Euro pro Quadratmeter liegt. Und das ist bei den Mietern, die schon länger hier wohnen, durchwegs der Fall.

Neumieter zahlen drauf

Von in den letzten Jahren zugezogenen Familien, darunter viele Geflüchtete, verlangt die Vonovia allerdings zum Teil  jetzt schon über 8 Euro pro Quadratmeter. Dies ist möglich, weil in Witten keine Mietpreisbremse gilt und weil Familien mit Kindern und Migrationshintergrund nur wenig ausreichend große Wohnungen zur Verfügung stehen. Sie sind Konzernen wie der Vonovia ausgeliefert.

Der Wohnungsmangel, so betont Vonovia-Chef Rolf Buch gern vor Anlegern, ist eine „Megatrend“. Er sorgt dafür, dass sein Konzern auch bei schlechter Leistung immer höhere Mieten verlangen kann. Mit den Einnahmen, so Buch, lassen sich trotz steigender Zinsen die hohen Schulden des Konzerns managen und weiter gute Dividenden ausschütten.

Auch vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass die Vonovia nach der Modernisierung noch deutlich mehr als 8 Euro pro Quadratmeter von ihren neuen Mietern verlangen wird. In einem benachbarten Neubau soll nach Auskunft der Bewohner die Quadratmetermiete bereits bei 14 Euro liegen. Wenn das die Zukunft ist, wird das Wohnen in dem Arbeiterstadtteil für die meisten Menschen in Witten unerschwinglich. Es sei denn, der Staat übernimmt immer höhere Mieten und die Familien ziehen immer enger zusammen.

Vonovia legt Subventionen nicht offen

Unabhängig davon wird die Vonovia den Unterschied zwischen den Kosten und den gedeckelten Mieten für die alten Bewohner sowieso nicht aus der eigenen Tasche bezahlen, Es stehen ihr hohe öffentliche Subventionen zur Verfügung. Wie es sich mit diesen öffentlichen Zuschüssen genauer verhält, darüber schweigt sich die Vonovia trotz Nachfragen des MieterInnenverein bislang aus. Transparenz geht anders.

Soweit die betroffenen Mieter ihre Rechte wahrnehmen, wird der Vonovia das Verheimlichen auf Dauere aber nicht weiterhelfen. Wenn sie nach Abschluss der Modernisierung die Mieten erhöhen will, muss sie die öffentlichen Subventionen nachweisen. Denn diese werden laut Gesetz von den umlegbaren Kosten abgezogen.

Neben den üblichen KfW-Mitteln hat die Vonovia im letzten Jahr eine Kreditzusage der Europäischen Investitionsbank (EIB) von 600 Millionen Euro für energetische Modernsierungen erhalten. Gut möglich, dass Maßnahmen wie die in Witten enthalten sind.  Genaueres weiß man nicht. Denn nach Meinung von Vonovia-Chef Rolf Buch müssen diese Subventionen bei den Mieterhöhungen nicht offengelegt werden. Es seien keine öffentlichen Mittel. Das ist frei erfunden. Die EIB mag sich Kapital am Markt besorgen, sie ist dennoch eine öffentliche Bank.

Ohne soziales Konzept

Abgesehen von Planungsfehlern, Pannen und Kosten ist aber alles toll? Betroffene MieterInnen und der MieterInnenverein haben auch da ihre Zweifel.

Die Vonovia hat sich seit Jahrzehnten nicht um das Quartier gekümmert. Obwohl viele kleine Kinder in der Siedlung leben, sind die Spielplätze verwahrlost. Einzelne Mieter kümmern sich unbezahlt ausopferungsvoll, trotzdem ist die Müllentsorgung der Kontrolle entglitten. Auf den Müllplätzen tanzen die Ratten. Ein Konzept für die Sanierung des Umfeldes und eine soziale Betreuung liegt nicht vor.

Zudem zeigen sich nun in den ersten Bauabschnitten die Nachteile der Einhausung: Durch die vorgebauten Dämmwände werden die Balkone und Wohnungen viel dunkler. Man muss öfter das elektrische Licht anschalten.

 

Ein Beispiel, das trotz vielversprechender positiver Ansätze zeigt, dass hochsubventionierte energetische Modernsierungen nicht gut funktionieren, wenn sie nicht sozial gestaltet werden. Und dazu würde auf jeden Fall auch eine echte Mietermitbestimmung gehören, – und ein Qualitätsmanagement, das diesen Namen wert ist.

Ist so etwas bei einem kriselnden Börsenkonzern wie der Vonovia überhaupt vorstellbar?