Kommentar zur Sondierung: Wo bleibt das „Sondervermögen“ für die Wohnwende?

In ihrem „Sondierungspapier“ haben Union und SPD neben einer Aufweichung der Schuldenbremse für die massive Aufrüstung auch ein kreditfinanziertes „Sondervermögen“ für die Verbesserung der maroden Infrastruktur in Deutschland in Aussicht gestellt. Die Herstellung und Sicherung einer bezahlbaren Wohnungsversorgung gehört dabei aber nicht zu den Zielen. Auch sonst enttäuschen die mietenpolitischen Aussagen. Zwar soll die Mietpreisbremse verlängert werden, allerdings nur für zwei Jahre. Das ist die einzige konkrete mietenpolitische Ankündigung im Sondierungspapier. An den MieterInnen in Witten und vielen anderen Städten wird diese Verlängerung spurlos vorbeigehen. Denn Witten gehört nicht zu den Gebieten, in denen die „Bremse“ gilt. Dafür treibt die angekündigte Ausgabe von hohen Staatsanleihen für Rüstung und Infrastruktur treibt schon jetzt die Bauzinsen an. Unter diesen Bedingungen ist die im Sondierungspapier enthaltene Versprechung, die Wohnungsnot durch massiven Neubau zu überwinden, noch unglaubwürdiger als sie es schon bei der „Ampel“ war. Wo sollen das Geld, aber auch das Personal und die Rohstoffe, herkommen?

Die Einbeziehung des Wohnungsbaus in den geplanten „Investitionsfonds“, der private Geldanlagen in den Wohnungsbau staatlich unterstützen soll, wird an der Krise des Baus bezahlbarer Wohnungen nichts ändern. Denn privat investiert wird nur dort, wo die Mieten Renditen versprechen, die höher liegen als die aus den Rüstungsinvestitionen.

Schon lange ist eine ganz andere Wohnungspolitik erforderlich, unter den Bedingungen der sich möglicherweise abzeichnenden Kriegswirtschaft wird sie noch dringlicher: Eine Wohnungspolitik, die die Mietenexplosion überall stoppt, die Spekulation mit Wohnraum unterbindet und den Menschen – auch den zu befürchtendem zusätzlichen Millionen an Kriegsflüchtlingen – wenigstens im Wohnbereich etwas Sicherheit bietet.

Die plötzlich möglich erscheinende Aufbrechung der Schuldenbremse für Investitionen in die öffentliche und soziale Infrastruktur schafft, einmal abgesehen von den schrecklichen Umtänden, dafür an sich gute Voraussetzungen: Ein Teil der hohen Staatsanleihen könnte dazu verwendet werden, ein dauerhaftes öffentliches Wohnungsvermögen auf Bund-Länder-Ebene zu schaffen. In dieses Vermögen könnte durch die Wahrnehmung kommunaler Vorkaufsrechte der Hausbesitz strauchelnder Privatinvestoren übernommen werden. Selbst die Vergesellschaftung der großen Wohnungsbestände börsennotierter Wohnungskonzerne wäre finanzierbar, – und damit der schnelle Aufbau eines gemeinwirtschaftlichen Wohnungswesens, das auch die erforderlichen energetischen Modernisierungen und den bezahlbaren Neubau stemmen kann. Das Ergebnis wäre ein „Sondervermögen“, das diesen Namen und die Ausnahme von der Schuldenbremse tatsächlich verdient. Denn die aufgenommenen Kredite würden nicht für Subventionen privater Vermögen ausgegeben, sondern in die Erhöhung des öffentlichen Vermögens investiert. Durch rücklaufende öffentliche Wohnungsbaukredite und Mieten würde dieses Vermögen, einmal initiiert, sogar immer weiter anwachsen.

Damit die Wahrnehmung von öffentlichen Vorkaufsrechten und die Vergesellschaftung des Großgrundbesitzes nicht über die Preise und Entschädigungssummen zu einer Förderung der Immobilienspekulation verkommt, müsste allerdings die Bewertung der Immobilien gesetzlich neu geregelt werden. Nicht die spekulativen Preiserwartungen der globalen Finanzwirtschaft, die Zahlungskraft der BewohnerInnen muss dabei der Maßstab sein. „Sozialer Ertragswert“ wird dieser Ansatz in der Diskussion genannt.

Außerdem müssen die Mieten aller Vermieter müssten auf ein realistisches Maß gedeckelt, die Erhaltung und Bewirtschaftung auch der privaten Immobilien gesetzlich reguliert werden. Sonst könnte das aufgerüstete Europa auch auf diesem inneren Kamfplatz noch ein blaues Wunder erlebem.

Die sich anbahnende große Koalition scheint von alledem das genaue Gegenteil anzustreben. Wir schlittern in einen kriegswirtschaftlichen Kapitalismus, der die Wohnbevölkerung völlig unzureichend vor den damit verbundenen wirtschaftlichen Gefahren schützt. Ganz unabhängig von den Grausamkeiten, die die sich anbahnende Koalition für Geflüchtete und Erwerbslose plant: Auf diese mieterfeindliche Weise wird man kaum ein Europa bauen können, das in der Welt glaubhaft soziale Menschenrechte vertritt.