Nr. 36


Irgendwo bei Kruckel 

Seit Jahren kämpft eine Rüdinghauser Initiative für den Erhalt eines leerstehenden Kottens. 

Am Glasweg, einer kleinen Geschichtsinsel tief im langweiligen Eigenheimsaum Rüdinghausens, bewohnen Marc Junge und Maria Brauckhoff mit ihrem Sohn Julian ein altes Arbeiterhaus. Im April 2001 kündigte Vermieter Müller der Familie an, „im Zuge einer anstehenden Baumaßnahme“ müsse das Gebäude „für eine generelle Renovierung geräumt“ werden. „Wir werden für diese Zeit Ersatzwohnraum zur Verfügung stellen.“ Die Mieter waren erschrocken: War dies eine Reaktion auf ihren jahrelangen Einsatz für die denkmalgerechte Nutzung des benachbarten „Günnemann-Kotten“ als Nachbarschaftszentrum?

Vermieter Müller ist nicht nur Eigentümer der ehemaligen Glashütten-Häuser an der Grenze zu Kruckel. Ihm gehört auch ein bislang unbebautes Grundstück in der Nähe und ein Fahrweg, der noch ein weiteres Wiesengrundstück erschließt. Dieses aber befindet sich im Eigentum einer Erbengemeinschaft, die zugleich Besitzerin eines im Tal gegenüber liegenden stolzen Kotten aus dem 17. Jahrhundert ist, - der eigentlichen Hauptperson in diesem Stück.

Der Historiker Marc Junge ist begeistert von dem Fachwerkhaus, wurde es doch kaum umgebaut und gewährt deshalb einen Einblick in die Geschichte des Wohnens und der Landwirtschaft. Seit etwa 7 Jahren steht das Gebäude leer, rottet vor sich hin. Zusammen mit vielen weiteren Rüdinghauser Bürgern und dem Heimatverein entwickelte Junge ein Konzept zur Rettung des Kottens: Da wegen der niedrigen Zimmerdecken eine Schaffung von zeitgemäßen Wohnungen nur bei Zerstörung des Denkmals möglich wäre, kam man auf die Idee, den Kotten als soziales Nachbarschaftszentrum zu nutzen. 

Um die notwendigen Mittel für Sanierung und Betrieb aufzubringen, wurde nicht nur ein Verein gegründet, die Initiative plante auch eine ökologische Gemeinschaftssiedlung auf der gegenüber liegenden Wiese. Die Bauleute sollten sich an der Kotten-Sanierung mit 5 Prozent ihrer Baukosten beteiligen und im Gegenzug das Haus als ihr Nachbarschaftszentrum mitnutzen. Eine Idee, die auch bei der GLS-Bank in Bochum auf Gegenliebe stieß. 

Eine bekannte alternative Architektin zeichnete Vorentwürfe für die Gemeinschaftssiedlung, erste Bauinteressierte meldeten sich, die Initiative machte der Erbengemeinschaft ein Angebot für den Kauf des Denkmals und der Wiese für die Siedlung. Aber da trat ein Konkurrent auf den Plan, der eine wesentlich wirtschaftlichere Verwertung im Sinne hatte: Architekt Rodriguez schloss mit den Eigentümern einen Vorvertrag ab und begann mit der Stadtverwaltung Beratungen über die Erarbeitung eines Investorenplans. 

Die Initiative hatte für die Wiese eine Siedlung mit 15 Passivhäusern vorgeschlagen. Rodriguez dagegen wollte richtig klotzen: Über 60 konventionelle Wohnungen, darunter auch Gebäude im Siepen des Kottens und Geschossbauten auf den Grundstücken des Unternehmers Müller waren das ursprüngliche Ziel. Denn Müller musste die Erschließung über den Glasweg zulassen, und warum sollte er das ohne auch seine eigenen Grundstücke zu verwerten? Und dazu zählte nach Informationen der Mieter auch der Abriss oder wenigstens starke Umbau ihrer Häuser am Glasweg. Eine gutgemeinte Bürgerinitiative war von Eigentümerinteressen in den Schatten gestellt worden. 

Mit immer neuen Eingaben, Unterschriftensammlungen und Veranstaltungen mobilisierte der Verein „Rettet den Günnemann-Kotten“ Unterstützung für sein Konzept: Im Dachgeschoss wollte ein Öko-Architekt sein Büro einrichten, in der Deele wollten Sammler Ausstellungen zur Alltagsgeschichte organisieren. Eine Erzieherin wollte Kindern ehrenamtlich Kleintiere und Gartenbau nahe bringen. Fachleute der Uni Dortmund waren bereit, bei der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme der Gebäudestrukturen mitzuarbeiten. Erst danach sollten konkrete Baumaßnahmen geplant werden. 

Etwa 800.000 Mark, schätzt Junge, hätte die Sanierung nach diesem Konzept gekostet. „Das ist trotz Eigenarbeit und Hilfsbereitschaft in Rüdinghausen nur zusammen mit der Öko-Siedlung zu finanzieren“, betont er.

Eine Herausforderung für  Stadtplaner? Vielleicht anderswo. In Witten sind sie heilfroh, wenn ein Bauträger ihnen den Aufwand eines Bebauungsplans abnimmt, die Erschließung bezahlt und sich dann auch noch die Last eines - inzwischen vorläufig unter Schutz gestellten - Denkmals ans Bein bindet. Was dieser Bauherr allerdings mit dem Kotten vor hat, bringt die Bürgerinitiative endgültig auf die Palme: Eigentumswohnungen und damit eine starke Veränderung der schützenswerten Innenbauten. „Das Planungsamt steckt mit Rodriguez unter einer Decke“, meint Junge. „Der Junge kann doch nicht den Eigentümern diktieren, was sie mit ihren Grundstücken machen sollen“, kontert man im Planungsamt.

Noch ist nicht das letzte Wort  gesprochen. Jeder Bauherr braucht einen vom Rat abgesegneten Plan, um hier bauen zu dürfen. Bislang ist noch nicht einmal ein Aufstellungsbeschluss erfolgt. Damit aber richten sich alle Blicke auf die Planern: Die reden mit den Eigentümern, das müssen sie. Ob und wie sie es mit den übrigen Bürgern tun, ist bis zur Einleitung der offiziellen Planung ihr Bier. Und sie lassen es wohl lieber verschalen. Denn für das Bürgerkonzept wäre die Aufstellung eines aufwendigeren Bebauungsplans unverzichtbar. 

Vor einigen Monaten hatte die Initiative die Unterstützung des Bürgermeisters für einen „runden Tisch“ mit allen Beteiligten gewonnen. Aber Rodriguez weigerte sich, mit Junge an einem Tisch zu sitzen. Und das war für diesen Vorstoß tödlich, denn immerhin ist Junge Vorsitzender des Rettungs-Vereins.

Also herrscht wieder Funkstille zwischen Bürgern und Verwaltung. Anderswo erhalten Initiativen wie diese eine professionelle Unterstützung von der Stadt, wird auf Investorenplanungen zu Gunsten solider Bebauungspläne verzichtet. Aber wir sind nicht anderswo. Dortmunder sagen: Witten liegt irgendwo bei Kruckel. 



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(c) MieterInnenverein Witten 10/2001.  Knut Unger