Gelsenkirchen, den 22. Mai 2000
Mieterfeindliche Geschäftspolitik
der Viterra AG
Sehr geehrte Aktionäre und Aktionärinnen der Veba AG,
wir, ein Zusammenschluss von Mieterinitiativen im Wohnungsbestand der Veba und von Mietervereinen im Ruhrgebiet, möchten Sie aus unserer Sicht über die Entwicklung der Geschäftspolitik der Viterra AG informieren.
Ende 1998 waren in der Presse massive Betrugsvorwürfe gegen die Veba erhoben worden. Trotz Einrichtung einer Schiedsstelle und einer Rückerstattung von illegal auf die Mieter abgewälzten Verwaltungskosten sind die Ungereimtheiten und Konflikte in diesem Bereich noch nicht geklärt:
Die Prüfung der Abrechnungen seit 1994 ist noch nicht abgeschlossen. Die Viterra AG hat wichtige Rechnungsunterlagen nicht vorgelegt. In der letzten Zeit sind erneut undurchschaubare Abrechnungen zwischen Konzerntöchtern aufgetaucht.
Viterra weigert sich, erkannte "Fehler" in den Abrechnungen (z.B. unrechtmäßige Abwälzung der Kosten der Dachrinnenreinigung) für alle betroffenen Mieter zu korrigieren. Nur wer konkret Widerspruch einlegt, bekommt sein Recht.
Bei den Heizkosten hält Viterra an der einseitigen Umstellung auf die sogenannte "Wärmeabrechnung" durch die Viterra Contracting GmbH fest. Weit über 30.000 Haushalte werden dadurch finanziell geschädigt und haben keine Möglichkeit mehr, die Berechtigung der Kosten zu überprüfen. Obwohl die Schiedsstelle in über 40 bekannt gewordenen Fällen (Zusatzvereinbarungen) entschieden hat, dass das Verfahren bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen unzulässig ist, behauptet Viterra, dass es sich nur um Einzelfälle handelt ( es geht um mehrere tausend Wohnungen allein in Dortmund und Witten). Aus rechtlicher Sicht ist das "Viterra-Contracting" in der vorliegenden Form in allen Fällen unzulässig. Es erfüllt nicht die in der Branche üblichen Mindestanforderungen an eine Wärmeabrechnung. Es dient auch nicht dem Umweltschutz, sondern der Kostenabwälzung. Angebote von Mietervereinen zur Entwicklung mieterfreundlicher Alternativen wurden nicht beantwortet.
Viterra weigert sich, transparente Verfahren zur Kontrolle der Ausführung angeblicher Arbeiten in den Grünanlagen einzuführen. In vielen Fällen bestreiten Mieter, dass berechnete Arbeiten ausgeführt wurden.
Viterra verlangt für die Thermenwartung überhöhte Preise.
Das Beharren der Viterra auf den umstrittenen Abrechnungspraktiken führt immer wieder zu neuem Unmut bei den Mieter/innen. Die fortgesetzte Aufklärungsarbeit des Aktionsbündnisses (u.a. Nebenkostenbroschüre) und die Berichterstattung in den Medien haben den Informationsstand der Mieter erhöht. In der Öffentlichkeit, der Wohnungswirtschaft, der Wärmelieferungsbranche und der juristischen Fachwelt musste die Viterra AG empfindliche Imageverluste hinnehmen. Es ist mit langen juristischen Auseinandersetzungen zu rechnen. Entscheidungen der Schiedsstelle und Gerichtsurteile führen zu einem erheblichen Zusatzaufwand bei der Korrektur der Abrechnungen.
Die Viterra AG hat ihre mieterfeindlichen Verkaufspraktiken verstärkt. Dies führt zu heftigen Protesten der Mieter/innen und ständigen Berichten in den Medien.
Betroffen sind sowohl ältere Arbeitersiedlungen mit Doppelhausbestand als auch Geschosswohnungen der 70er Jahre, teilweise auch öffentlich gebundene Wohnungen. Viterra wandelt Mietwohnungen auch in Eigentumswohnungen um. Im Arbeitersiedlungsbestand haben die Mieter "ihre" Häuser oft in Eigenarbeit ausgebaut, jetzt sollen sie gezwungen werden, sie - zu oft stark überhöhten Preisen - zu kaufen. Einzelprivatiserungen führen zur Zerstörung der Sozialstruktur in den Siedlungen. Viele Menschen in den Siedlungen sind arbeitslos, haben unsichere Zukunftsperspektiven. "Angstkäufe" führen schnell zu finanzieller Überlastung. Die Quote der Zwangsversteigerungen in Gelsenkirchen ist enorm.
Viterra hat einige Siedlungen an regional bekannte "Weiterverwerter" (z.B. Häusserbau) veräußert. Diese Verwerter verkaufen die Wohnungen ohne Rücksicht auf die soziale Situation und die bauliche Struktur weiter.
Diese Praktiken schwächen die dauerhafte Wohnungsversorgung im Ruhrgebiet empfindlich.
Viterra will in vielen Siedlungen Mietergärten und Freiräume für den Bau von Eigenheimen nach dem Wohnwertkonzept bebauen. Dies trifft auf den massiven Widerstand der Betroffenen.
Viterra reißt jahrelang vernachlässigte Bausubstanz (u.a. Dortmund Hansemannsiedlung) ab, obwohl eine Sanierung möglich wäre.
In diversen Wohnungsbeständen läßt Viterra Wohnraum verfallen (z.B. Gladbeck). Modernisierungen sind oft mängelbehaftet. Durch unzureichende Planungen und fehlende Kostenkontrolle verschwendet die Viterra unnötig Geld. Die Mieter werden nicht beteiligt.
Trotz eines eindeutigen Rechtsentscheides versucht die Viterra die Kosten öffentlicher Erschließungen (Kanalisierung) rechtswidrig als Modernisierung auf die Mieter umzulegen.
Aufgrund zahlreicher Konflikte und Probleme bilden sich seit vielen Jahren Mieterinitiativen in den Siedlungsbeständen. Seit Ende 1998 haben sie sich zu einem ruhrgebietsweiten Aktionsbündnis zusammengeschlossen. Nach massivem Druck nahm das Viterra-Management 1999 vorübergehend Gespräche mit dem Aktionsbündnis auf. Obwohl zugesichert worden war, dass über alle Probleme offen gesprochen werden sollte, beendete das Management die Gespräche im November 1999, weil die Mieter gegen die Privatisierungwelle öffentlich demonstrierten.
Die Viterra AG ist offensichtlich nicht in der Lage und nicht gewillt, eine kunden- und mieterorientierte Geschäftspolitik an den Tag zu legen. Die daraus folgenden Imageverluste führen in der jetzigen wohnungswirtschaftlichen Lage zu Vermietungsproblemen, sie sich dann auch ertragsmindernd auswirken.
Aus den Verkäufen im Ruhrgebiet finanziert die Vietrra AG teilweise den Einkauf bei Wohnungsunternehmen in München, Frankfurt und anderen Städten. U.a. in Frankfurt stieß dies auf heftige öffentliche Kritik. Es wird befürchtet, dass Viterra seine kundenfeindlichen Geschäftsgebahren auf diese Städte überträgt.
Die Gewinnerwartungen für den Bereich Mietwohnungen sind deutlich überzogen. Sie können nur gegen die Mieter/innen erreicht werden. Der Preis für die Veba ist eine dauerhafter, sich immer weiter verfestigender Imageverlust. Bei einem öffentlich diskutierten Börsengang der Viterra AG müssen wir eine weitere Verschärfung der Verwertungspraktiken erwarten. Die Viterra AG ist immer weniger ein solider Partner für die NRW-Wohnungspolitik.
Ein Teil der Probleme resultiert offensichtlich aus einer schlechten internen Organisationsstruktur der Viterra AG. Die Geschäfte werden nicht auf die Hauptkunden, die Mieter/innen ausgerichtet, sondern auf Geschäftsfelder, die sich das jeweilige Management konstruiert. Weil überzogene Gewinnerwartungen an die Stelle von sorgfältiger Prüfungen treten, begeht das Management schwere Entscheidungsfehler. Unternehmensteile arbeiten stellenweise gegeneinander (Beispiel Wärmecontracting). Die langfristige Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung könnte dadurch gefährdet werden.
Stümperei, Mauschelei, Chaos: Das Missmanagement bei der Viterra schädigt die Mieter und den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Wir fordern die Aktionär/innen auf, den mieterfeindlichen Praktiken der Viterra AG Einhalt zu gebieten.
Ihr
Aktionsbündnis der Veba-Mieter
c/o Mieterhaus Flöz Dickebank, Ottilienaustr. 3a, 45886 Gelsenkirchen
(c) MieterInnenverein Witten 2000. Knut Unger