Nr. 35


NAZIS NEBENAN

Auch in Witten nimmt die rechte Gewalt zu. Nicht alle Jugendliche können sich dem Druck entziehen. 

Täglich hören wir von neuen Gewalttaten rechtsextremer Schläger auf Menschen, die anders denken oder anders aussehen als sie. Leider wird auch Witten davon nicht verschont. Menschen mit dunkler Hautfarbe fürchten sich abends auf den Strassen. Jugendliche, die gegen die Rechtsextremen eingestellt sind, meiden inzwischen Plätze, an denen sich die Szene versammelt. Aber es bleibt nicht nur bei Angst und Einschüchterung.

Im Anschluss an ein Feuerwehrfest überfielen am 6. Mai 2000 drei junge Neonazis in Bommern den 16-jährigen Peter M. (Name geändert). Sie traten auf ihn ein bis er zu Boden ging. Das reichte den rechten Skinheads aber nicht, der Haupttäter ergriff das Skateboard des Opfers und schlug damit mehrmals zu. Peter M. erlitt lebensgefährliche Verletzungen. 

Obwohl die Täter ihr Opfer mit faschistischen Sprüchen beschimpften und unverkennbar der rechten Szene angehörten, wurde der Vorfall von der Polizeipressestelle als eine unpolitische Schlägerei unter Jugendlichen bezeichnet. Kurze Zeit später wurden das Opfer und dessen Eltern von Unbekannten mehrfach bedroht.

Die drei Täter stammen aus einer Gruppe rechter Jugendlicher, die sich seit längerem in Bommern treffen. Vor allem fallen sie durch lautstarke rassistische Musik auf. Auch kommt es ständig zu Bedrohungen gegenüber anderen jungen Leuten.

Seit einiger Zeit etablieren sich in etlichen Stadtteilen immer mehr rechte Jugendcliquen. Neben Bommern gehören Stockum, Annen und Rüdinghausen dazu. Auch an Plätzen in der Innenstadt oder in den Kneipen von Post- und Marktstraße sind rechte Jugendliche immer öfter anzutreffen. 

Diese Jugendlichen zählen eher zum unorganisierten Kreis der rechten Szene. Wesentlich organisierter geht es bei der sogenannten „Ruhrpottkameradschaft Dortmund/Witten“ zu. Die Neonazis, die von dem ehemaligen NRW-Landesvorsitzenden der verbotenen FAP Siegfried Borchardt aus Dortmund und dem Wittener Carsten Köppe angeführt werden, sind bei jedem Naziaufmarsch dabei. Egal ob Berlin, Magdeburg, München oder Essen.

Im seit längerem geschlossenen „Deutschen Haus“ in Annen hatten die „Ruhrpottkameraden“ eine Zeit lang ihren Treffpunkt. Hier versammelten sich Freitags Neonazis aus der gesamten Region. Kurz vor Schließung des Lokals zog der Kameradschafts-Chef Carsten Köppe zusammen mit seiner Freundin in eine Wohnung über der Kneipe. Der Versuch das Lokal nach der Zwangsschließung selbst anzumieten, scheiterte jedoch, so dass die braune Bande nach Dortmund auswich. Insgesamt dürfte es Schätzungen zu folge in Witten rund 80 mehr oder weniger organisierte Neonazis geben. 

Leider sind die entschlossenen rechten Fanatiker heute nicht mehr so isoliert, wie noch in den 80er Jahren. Damals hatte die „Freiheitliche Arbeiterpartei“ (FAP) versucht, unter Jugendlichen in Witten Fuß zu fassen und zelebrierte grausige Aufmärsche auf dem Rathausplatz. Einem breiten Bündnis von Nazi-Gegnern gelang es, ihre Treffpunkte ausfindig zu machen und überall ihre Aktivitäten zu blockieren. Ein isolierter aber harter Kern wechselte in den offenen Terrorismus und endete im Knast.

Heute ist das Spektrum der Rechtsradikalen viel breiter, sie haben Einfluss gewonnen in Kreisen unterprivilegierter Jugendlicher, vor allem da, wo es - wie in Bommern - kaum Angebote für Jugendliche gibt. 

Die Gefahr Nummer 1: Diese gewaltbereiten Cliquen - die es schon immer gab - werden durch die rassistische Ideologie zu Angriffen auf Leib und Leben ermutigt. Die zweite Gefahr: Auch Jugendliche, die es von zu Hause aus besser wissen müssten oder die überhaupt nicht zu Gewalt neigen, geraten in den Sog dieser Cliquen. Mag sein, dass nur eine kleine Minderheit die rechtsradikalen Taten gutheißt, aber Nazi-Sprüche werden von vielen widerspruchslos hingenommen, verharmlost oder als Teil der eigenen Anti-Haltung akzeptiert. Und damit wächst die Gefahr, dass sich die rechtsradikale Subkultur weiter ausbreitet.

Gefährlich ist auch, dass Jugendliche, die sich von diesen Entwicklungen angewidert fühlen, heute wesentlich defensiver sind als noch vor ein paar Jahren. Anstatt ihre eigenen Treffpunkte und Orte zu behaupten, meiden sie zunehmend Plätze wie etwa den Stadtpark, - aus Scheu vor offensiven Auseinandersetzungen und aus Ratlosigkeit. Schritt für Schritt erobert sich auf diese Weise das rechtsextreme Milieu die Strassen - und die Erwachsenen sehen hilflos oder schulterzuckend zu.

Zwar gibt es seit einigen Monaten jede Menge öffentliche Aufrufe und auch Geld für Initiativen gegen rechte Gewalt. Ganze Schulen demonstrieren. Aber dass diese wohlbehüteten Initiativen in der Lage sind, die rechtsradikalen Szenen zurückzudrängen, ist keineswegs sicher. Eigentlich müssten sich alle BewohnerInnen ganz freiwillig einsetzen für eine Stadt, in der rechtsextreme Gewalt und rassistische Sprüche nicht toleriert werden. Auch und gerade in den öffentlichen Räumen. 



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(c) MieterInnenverein Witten 1/2001.